Nach meinem Wissen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland standardmäßig Sütterlin und die deutsche Kurrentschrift verwendet. Erst 1941 verboten die Nazis die deutsche Kurrentschrift und die lateinische Schreibschrift wurde zur alleinigen „deutschen Normalschrift“ erklärt (vgl. Schreibschrift und Antiqua-Fraktur-Streit).
Anmerkung aufgrund des Kommentars von Carsten S: Die Frage bezieht sich primär auf Deutschland. Dennoch ist es auch interessant, wie die Situation in anderen Gebieten des deutschen Sprachraums war.
Meine Großmutter (geb. 1902 in München, auch dort zur Schule gegangen) verwendete allerdings niemals die „traditionellen“ deutschen Schriftarten, sondern - soweit ich das beurteilen kann - eine Variante der lateinischen Schreibschrift. Hier Beispiele ihrer Handschrift aus den Jahren 1924 bzw. 1939:
Ich vermute, dass sie in der Schule so zu schreiben gelernt hat. Mein Großvater, geb. 1901 in Bayern (Allgäu), hat dagegen bis ins hohe Alter Sütterlin benutzt.
Meine Frage daher: Ab wann wurde die lateinischen Schreibschrift in Schulen gelehrt? War das Anfang des 20. Jahrhunderts eher eine Ausnahme und gab es regionale Besonderheiten?
Ergänzung aufgrund von RHas Kommentar:
Von Sütterlin wurde 1913 eine lateinische Schriftvariante vorgeschlagen. Ob bzw. wann sich diese an Schulen durchgesetzt hat, ist mir nicht bekannt. Für die Schulzeit meine Großmutter dürfte Sütterlins lateinische Variante ohnehin keine Rolle mehr gespielt haben (zumal sie als Tochter aus einem armen Elternhaus über den Besuch der "Volksschule" nicht hinauskam). Übrigens verwendete ihre jüngere Schwester, die diesselbe Münchner Schule besucht haben dürfte, ebenfalls die o.g. lateinische Schriftvariante. Das deutet darauf hin, dass beide Mädchen ihre Schreibschrift an der Schule gelernt haben und sich nicht autodidaktisch zu einem späteren Zeitpunkt angeeignet haben. Letzteres wäre in ihrem sozialen Milieu auch äußerst unwahrscheinlich gewesen.
Zum Abschluss noch zwei weitere Beispiele der Verwendung lateinischer Handschrift:
2. Ergänzung:
Die Anordnung der Nazis, die im Jahre 1941 die lateinische Schreibschrift zur alleinigen „deutschen Normalschrift“ erklärte, könnte ein Indiz dafür sein, dass die lateinische Schreibschrift bereits Anfang des 20. Jahrhunderts allgemein bekannt war oder von praktisch allen zumindest gelesen werden konnte. Anderenfalls wäre die Anordnung kaum umsetzbar gewesen.
Ein interessanter Artikel zum Thema "Abschaffung der Deutschen Schrift durch de Nazis " findet sich hier.
Ein weiterer Hinweis zur Bekanntheit von "nichtdeutschen" Schriftarten ergibt sich m.E. aus der Verwendung vion Schreibmaschinen. Zitat aus Wikipedia:
Schreibmaschinen-Fraktur
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es im deutschen Sprachraum auch Schreibmaschinen mit Frakturtypen. Diese hatten im Allgemeinen die frakturtypischen Ligaturen ch, ck, tz, st und das lange s als zusätzliche Zeichen. Die Schreibmaschinenfraktur war nicht vereinheitlicht, d. h. es gab mehrere Versionen. Die häufigste war eine Schrift, die von der gewöhnlichen Buchfraktur abgeleitet war. Es gab aber auch Schwabacher- (bzw. die so genannte Neue Schwabacher) und einfache Texturaschriften. Einige dieser Frakturschriften hatten auch leicht unterschiedliche Strichstärken. Eine Besonderheit dieser Schreibmaschinen war zumindest bei einigen, dass auch die Tastenkappen in Frakturschrift beschriftet waren. Die Frakturschriften setzten sich aber auf der Schreibmaschine nicht durch, da sie als nicht-proportionale Schreibmaschinenschriften sehr schwer zu lesen sind. Versuche, Schreibmaschinen mit proportionalen Frakturschriften auszurüsten, schlugen ebenfalls fehl.