Labour gewinnt Unterhauswahl :
Den Briten „wurde eine Last von den Schultern genommen“

Lesezeit: 5 Min.
Wahlsieger Starmer mit seiner Frau Victoria in der Nacht zu Freitag in London
Großbritannien steht vor einem Regierungswechsel: Noch an diesem Freitag wird Labour-Chef Keir Starmer in 10 Downing Street einziehen. Bei den Konservativen zeichnet sich nach dem Wahldebakel ein Machtkampf ab.

Nach 14 Jahren konservativer Herrschaft bringt ein Erdrutschsieg in Großbritannien die Labour-Partei zurück an die Macht. Die bisherige Oppositionspartei verdoppelt die Zahl ihrer Sitze und erringt nach Auszählung fast aller Wahlkreise rund 410 der insgesamt 650 Mandate im britischen Unterhaus.

„Wir haben es geschafft“, sagte der künftige Premierminister Keir Starmer in der Nacht zum Freitag. Der Wandel beginne jetzt. Nach 14 Jahren sei der Nation eine Last von den Schultern genommen worden.

Der bisherige Premierminister Rishi Sunak, der im Lauf des Freitags aus der Downing Street 10 ausziehen muss, um seinem Nachfolger Platz zu machen, übernahm die Verantwortung für die Niederlage der Konservativen. Seine Partei verlor etwa zwei Drittel ihrer Mandate und kann nach den bisherigen Auszählungen noch mit rund 120 Sitzen rechnen.

Sunak: Haben viel zum Nachdenken

Zu den Wahlsiegern zählen hingegen auch die Liberaldemokraten, die sich mit mehr als 70 Mandaten als drittstärkste Kraft im Unterhaus etablieren konnten. Die schottischen Nationalisten, die diese Position bislang innehatten, erlitten dramatische Verluste, ihnen wurden statt der bisherigen 49 Sitze weniger als 10 Mandate prognostiziert. Die rechtspopulistische Partei Reform UK, die von den Konservativen mehr Stimmen abwarb als die Labour-Partei, konnte ihren großen Stimmengewinn – mehr als vier Millionen Wähler entschieden sich für sie – wegen des britischen Wahlrechts nicht in Mandate ummünzen; Reform erreichte nur vier Sitze im Unterhaus.

Sunak verteidigte seinen eigenen Wahlkreis in Yorkshire und kündigte in der Nacht zum Freitag an, er wolle dem Land als Abgeordneter weiter dienen. Er nannte das Wahlergebnis „ein ernüchterndes Urteil“. Die Konservativen hätten „jetzt viel zum Nachdenken und zum Lernen“. Es werde an diesem Freitag einen Machtwechsel „in friedlicher und ordentlicher Art und Weise“ geben“; Großbritannien könne auf die Stabilität seiner Demokratie vertrauen.

Die Vorgängerin Sunaks als Regierungschefin, Liz Truss, verlor ihren Wahlkreis in Norfolk an die Labour-Partei. Auch Penny Mordaunt, eine jener konservativen Führungsfiguren, die als Nachfolgerin des glücklosen Premierministers Rishi Sunak im Gespräch war, unterlag in ihrem Wahlkreis Portsmouth Nord der Konkurrentin von Labour. „Die Demokratie liegt niemals falsch“, sagte Mordaunt anschließend. Sie repräsentierte Portsmouth seit 2005 im Unterhaus und muss sich nun eine Aufgabe außerhalb der Politik suchen, da nach britischem Politikverständnis Führungspositionen in Parteien – und Funktionen in der Regierung – nur von Mandatsträgern im Parlament ausgeübt werden können.

Außer Mordaunt verloren fast ein Dutzend weiterer Kabinettsmitglieder ihre Sitze und damit die Möglichkeit, über die Zukunft der Konservativen mitzubestimmen. Zu ihnen zählten Verteidigungsminister Grant Shapps und Erziehungsministerin Gillian Keegan. Die Liberaldemokraten, die das Mandat Keegans gewannen, feierten ihren Sieg mit der Mitteilung „Die Schule ist aus für Keegan“.   Der bisherige Finanzminister Jeremy Hunt, der im südenglischen ländlichen Surrey seinen Wahlkreis hat, musste bis zum Sonnenaufgang warten, um Klarheit zu haben, dass er sein Mandat knapp halten konnte. Der frühere Wirtschaftsminister Jacob Rees-Mogg hingegen, einer der Galionsfiguren der britischen Brexit-Anhänger, musste sich in Somerset den Liberaldemokraten geschlagen geben.

In mehreren Wahlkreisen fielen die Ergebnisse dramatisch knapp aus. Richard Holden, der als „Chairman“ die Rolle eines Generalsekretärs der Konservativen hat – und darin auch maßgeblich für die Wahlkampagne seiner Partei verantwortlich war – gewann das Mandat in Basildon und Billericay mit einem Abstand von 20 Stimmen vor seinem Konkurrenten der Labour-Partei. Die Ergebnisse in diesem Wahlkreis zeigen, wie dramatisch sich die Gewichte im Wählerverhalten in dieser Wahl verschoben haben: Die Konservativen hielten diesen Sitz zuvor mit einer Zustimmung von 20.750 Stimmen. Jetzt erreichten sie noch 12.905 Stimmen, 20 mehr als Labour, und beiden Parteien war die rechtspopulistische Reform UK mit 11.354 Stimmen dicht auf den Fersen.

Rechtspopulist Farage will alle „in Erstaunen“ versetzen

Die frühere Innenministerin Suella Braverman verteidigte hingegen ihren Sitz in Fareham und Waterlooville. Sie hatte schon einen Tag vor der Unterhauswahl den Wettbewerb um die Nachfolge Sunaks als Parteichef mit einem Zeitungsbeitrag im „Daily Telegraph“ eröffnet. In dem schrieb sie die Niederlage der Konservativen dem bisherigen zu moderaten Kurs des Premierministers zu und kündigte an, es werde „einen Kampf um die Seele der Partei“ geben, der nach ihrer Ansicht von jenen gewonnen werden müsse, welche die Konservativen weiter nach rechts rücken wollten. Nur so ließen sich die Wähler wiedergewinnen, die zur „Start-up-Partei“ Reform UK gewechselt seien.

Historische Niederlage: Der scheidenden Premier Sunak in der Nacht zu Freitag
Historische Niederlage: Der scheidenden Premier Sunak in der Nacht zu FreitagAFP

Der Anführer von Reform, Nigel Farage, gewann ein Unterhausmandat in Clacton-on-Sea; allerdings erfüllten sich die Hoffnungen für seine Partei nicht, die von der Prognose nach der Schließung der Wahllokale geweckt worden waren. Statt der dort vorhergesagten 15 Sitze erreichte Reform bis zum Freitagmorgen nur vier.

Neben Farage war auch der frühere Reform-Parteichef Richard Tice erfolgreich; einer der maßgeblichen Geldgeber der Rechtspopulisten, der in der zweiten Wahlkampfwoche von Farage umstandslos zur Seite geschoben worden war, als dieser sich entschlossen hatte, selbst an der Spitze von Reform anzutreten; einer Organisation, die ihm als eingetragene Firma formell gehört.

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Die frühere Innenministerin Suella Braverman verteidigte hingegen ihren Sitz in Fareham und Waterlooville. Sie hatte schon einen Tag vor der Unterhauswahl den Wettbewerb um die Nachfolge Sunaks als Parteichef mit einem Zeitungsbeitrag im Daily Telegraph eröffnet, in dem sie die Niederlage der Konservativen dem bisherigen zu moderaten Kurs des Premierministers zuschrieb und ankündigte, es werde „einen Kampf um die Seele der Partei“ geben, der nach ihrer Ansicht von jenen gewonnen werden müsse, welche die Konservativen weiter nach rechts rücken wollten. Nur so ließen sich die Wähler wiedergewinnen, die zur „Startup-Partei“ Reform UK gewechselt seien.

Der Anführer von Reform, Nigel Farage, gewann ein Unterhausmandat in Clacton-on-Sea; allerdings erfüllten sich die Hoffnungen für seine Partei nicht, die von der Prognose nach der Schließung der Wahllokale geweckt worden waren. Statt der dort vorhergesagten 15 Sitze erreichte Reform bis zum Freitagmorgen nur vier.

Neben Farage war auch der frühere Reform-Parteichef Richard Tice erfolgreich; einer der maßgeblichen Geldgeber der Rechtspopulisten, der in der zweiten Wahlkampfwoche von Farage umstandslos zur Seite geschoben worden war, als dieser sich entschlossen hatte, selbst an der Spitze von Reform anzutreten; einer Organisation, die ihm als eingetragene Firma formell gehört. Farage äußerte nach seiner Ausrufung zum Mandatsgewinner, dies sei „erst der erste Schritt von etwas, das Euch alle noch in Erstaunen versetzen wird“.