Aus dem Kurs: Visual Storytelling für Marketing und PR

Kriterien starker Bilder

Die Kunst des visuellen Erzählens erfordert zwei Fähigkeiten: Sie sollten ein guter Geschichtenerzähler sein und zweitens, sollten Sie virtuos im Umgang mit Bildmaterial sein. Wer glaubt, dass diese Fähigkeiten in Marketing und PR heute selbstverständlich sind, der irrt. Nach wie vor ist ein Großteil der Kommunikation von Factsheets, Datenblättern und PowerPoint bestimmt. Die professionelle Kommunikation glaubt immer noch an die Kraft des Wortes und setzt massiv Text ein. Auch heute noch erleben wir Newsletter, Webseiten, Geschäftsberichte, Presse und auch Mitarbeitermitteilungen als zu textlastig, ohne Rücksicht auf die Veränderungen im Informations- und Kommunkationsverhalten der Kunden und auch der Mitarbeiter. Wenn Bilder eingesetzt werden, dann greift man gerne auf Altbewährtes zurück, auf sogenanntes Stock-Material. Sie kennen diese Bilder, Männer und Frauen in gutsitzenden Hosenanzügen, die sich an sauber geputzten Schreibtischen die Hand reichen. Dies hier ist eines der meistverkauften Bilder von Getty Images, einer der größten Bildagenturen, die 1995 von Mark Getty gegründet wurde. Der Goldfisch, der aus dem Glas springt, was ein echter Goldfisch übrigens niemals tun würde -- fragen Sie einen Fischer --, dieses Bild ist ein typisches Symbolbild, das unzählige Male bei Getty gekauft wurde und immer wieder in Broschüren, auf Webseiten und in Newslettern auftaucht. Getty Images verfügt über ein Archiv von 80 Millionen Bildern und Illustrationen und rund 30.000 Stunden Filmaufnahmen. Unternehmen und Agenturen weltweit beziehen Ihr Bildmaterial über diese oder ähnliche Bildatenbanken, meist werden Symbolbilder nachgefragt. Bilder, deren Zweck es ist, Texte zu bebildern, zu dekorieren, man will einfach ein bisschen Farbe in die Bleiwüste bringen. Doch seit einigen Jahren registriert Getty einen Trend. Die Nachfrage nach Bildern verändert sich, statt Symbolbildern werden Bilder nachgefragt, die Getty Strong Images nennt, denn diese Bilder heben sich vom klassischen Stock-Material stark ab. Konkret unterscheiden sich diese neue Art der Bilder in vier Kriterien, die Getty herausgefunden hat. Über die letzten Jahre steigt die Nachfrage nach: erstens authentischen Bildern, zweitens Bildern mit hoher kultureller Relevanz, drittens Bildern, die unsere Sinne anregen und viertens Bildern, die die Archetypen des Storytellings aufgreifen. Beginnen wir mit dem ersten Kriterium, Authentizität. Authentizität ist ein ziemlich überstrapazierter Begriff, aber Getty Images gibt ein sehr schönes Beispiel, was man unter Authentizität im Zusammenhang mit visuellem Erzählen verstehen kann. Babyfotos, die bei Getty in der Vergangenheit häufig nachgefragt und gekauft wurden, sahen bisher so aus: die Babies einfach süß und zum Knuddeln, perfekt, sauber und der Traum einer jeden Mutter. Aber ist das authentisch? Heute sehen Babyfotos eher so aus: echter. Babies stinken, Babies schreien, Babies sabbern und sie sind nicht immer Mamis Liebling. Zugegeben, dieses Baby sieht eigentlich immer noch hübsch aus, aber es kommt der Realität näher als die üblichen Symbolbilder. Kriterium Nummer 2 ist kulturelle Relevanz. Die üblichen Symbolbilder sind in der Regel allgemeingültig. Sie beziehen sich weder auf ein konkretes Ereignis noch auf ein Datum oder auf eine bestimmte Region. Sie sind universell einsetzbar, das ist ihr Vorteil, aber auch ihr Nachteil, denn sie bedeuten uns nicht wirklich etwas. Im Gegensatz dazu stellen kulturell relevante Bilder einen Bezug zum Betrachter her. Sie sprechen uns mit unseren Interessen und Bedürfnissen an, wecken und spielen mit unseren Erinnerungen und Erfahrungen. Ein sehr schönes Beispiel ist die Fotoserie von David Lachapelle, der anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Flaschenform von Coca-Cola diese Hände abbildete. Ein sehr stillistisches und ästhetisches Bild, das nicht nur mit dem Produkt, sondern auch den Unternehmensfarben von Coca-Cola, Weiß und Rot, spielt. Begeistert wurde es von den Fans der Marke aufgegriffen, noch dazu ist es politisch korrekt, eine weiße und eine schwarze Hand formen die Flasche und es gibt das Motiv auch mit einer alten und einer jungen Hand. Für die Fans von Coca-Cola hat das Bild kulturelle Relevanz. Eine Lehrstunde für diese Bildkategorie war der G7-Gipfel in Deutschland, der 2015 in Bayern, in Elmau, in der Nähe des berühmten Schlosses Neuschwanstein stattfand. Über 4.000 Journalisten besuchten dieses politische große Ereignis und der Gastgeber, die bayrische Staatsregierung, nahm diesen Presseauflauf gleich zum Anlaß, das Image Bayerns aufzupolieren. Ganz bewusst wollte man typische Bayern-Klischees wie Lederhose oder Bier vermeiden und stattdessen ein modernes, technikorientiertes Bayern-Bild zeigen. Visuell wurde dies durch eine Lasershow verdeutlicht, es entstanden fantastische Bilder, denn man illuminierte die Fassade von Schloss Neuschwanstein. Zu Ehren jedes Gastes wurden die jeweilgen Landesfarben am Schloss inszeniert, hier zum Beispiel das Sternenbanner bei Ankunft von Präsident Obama. Die Presse war begeistert und griff die Bilder bereitwillig in der Berichterstattung auf. Und doch, wenn man heute auf den Gipfel zurückblickt, wird man sich nicht wirklich an diese Bilder der Lasershow erinnern, denn in das kollektive Gedächtnis hat sich ein anderes Bild eingebrannt, ein Bild, das kulturell höchste Relevanz bot, nämlich dieses Bild. Barrack Obama hat es sich nicht nehmen lassen, ein bayrisches Dorf zu besuchen und so gab es in Krün dann doch das typische Bayern-Bild mit Trachten, Gamsbart, Weißbier und Weißwurstessen. Obamas Beraterstab wußte zu gut, wie man den Präsidenten in Szene setzt und inszenierte die Bilder so, dass sie auch noch das dritte Kriterium erfüllen, das Getty Images als entscheidend für starke Bilder definiert hat -- sensorische Stimulanz. Wir lieben Bilder, die unsere Sinne anregen, Bilder, die wie dieses nah herangehen, die uns Dinge zeigen, die wir gerne anfassen wollen oder die wir fast zu spüren glauben. Bei Instagram und Pinterest, aber auch in Zeitschriften und Fotobüchern ist Ihnen dieses sicher schon aufgefallen. Wir sind ganz süchtig nach Bildern, die Stoffliches, Handwerkliches zeigen. Man hat fast den Eindruck, je mehr wir uns mit Computern, Tablets und Smartphones, mit perfekten, glatten Oberflächen umgeben, umso mehr sehnen wir uns nach ursprünglichen Materialien wie Holz, Metall, Stoff, nach Rohheit und Unverfälschtheit. Erfolgreich sind daher Bilder, die uns nah an die Welt der Handwerker bringen, an diejenigen, die die Dinge noch mit der Hand machen, Bilder, die uns Motive zeigen, die zum Greifen nah sind. Man spürt beinahe die Rauhheit des Holzes, die Kühle des Metalls oder man riecht Farbe und Lacke. Sehnsüchte nach der guten alten Zeit werden hier bedient und unsere Sinne bekommen was zu arbeiten Wenn wir einem Töpfermeister beim Griff in den Ton zusehen, aktiviert dies die gleichen Gehirnregionen, als ob wir selbst töpfern. Genau auf diesen psychologischen Trick basiert die Kommunikationsarbeit bildstarker Marken. Die Eismarke Häagen-Dazs zum Beispiel veröffentlichte 2016 über Amazon Prime einen 25-minütigen Dokumentarfilm. Crafted, so der Titel des Films, ist eine Hommage an die Handwerkskunst und zeigt eine Auswahl an außergewöhnlichen Menschen, die mit Hingabe und Passion ihre Arbeit machen. Die Bilder sind atemberaubend schön und sinnlich. Der Film ist der Höhepunkt einer Imagekampagne, mit der Häägen-Dasz den Absatz seiner Produkte und die Besuche seiner Eisdielen nachweislich steigern konnte, ohne die Marke oder ein einziges Eis zu zeigen. Sehen Sie sich den Film an, er ist zu sehen auf Vimeo unter dem Titel Crafted. Vor allem aber werfen Sie einen prüfenden Blick auf Ihre eigenen Bilder. Sind diese authentisch und real? Sind sie kulturell relevant und interessant? Stimulieren Sie mit Ihrem Bildmaterial die Sinne Ihrer Zielgruppe? Machen Sie Lust auf mehr? Denn genau das ist ja die Aufgabe von Bildern: Aufmerksamkeit zu wecken und zu locken, neugierig zu machen und in die eigene Geschichte reinzuziehen.

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